Botanisches Konstrukt

Ursprünglich von der Keramik kommend, bevorzugt Martina Pruzina-Golser seit Mitte der 2000er-Jahre die Zeichnung als künstlerisches Ausdrucksmittel. In der Serie Botanische Konstrukte verleiht sie ihren Zeichnungen einen objekthaft-plastischen Charakter, indem sie mehrere zarte Papierschichten übereinandermontiert oder mit Silberfolie kombiniert. Inhaltlicher Bezugspunkt dieser Werke sind Darstellungen in botanischen Fachbüchern oder selbst gesammeltes Pflanzenmaterial. Fasziniert von der Formensprache und den Strukturgesetzen der Natur, versucht sie mit künstlerischen Mitteln Äquivalente zu schaffen, die einen Vergleich mit Ernst Haeckels um 1900 erschienen Bildatlas Kunstformen der Natur nahelegen. Es handelt sich dabei um ein eindrucksvolles Dokument ästhetischer Naturbetrachtung, dessen Darstellungen verschiedenster Meerestiere und -pflanzen auch maßgeblichen Einfluss auf die Kunst und Architektur der damaligen Zeit hatten, vor allem auf die Ornamentik des Jugendstils. Das Besondere an diesem Buch ist einerseits, dass hier ein Wissenschaftler – Ernst Haeckel war Zoologe und einer der ersten Meeresbiologen – eine künstlerische Ausdrucksform entwickelt und dass er andererseits die Natur selbst als kunstschaffend betrachtet hat: „Die Natur erzeugt in ihrem Schoß eine unerschöpfliche Fülle von wunderbaren Gestalten, durch deren Schönheit und Mannigfaltigkeit alle vom Menschen geschaffenen Kunstformen weitaus übertroffen werden“, so Haeckel. In diesem Sinne nimmt auch Martina Pruzina-Golser bei den von der Natur hervorgebrachten Formen Anleihe, abstrahiert sie jedoch, um mit Bleistift, Aquarellfarbe und Papier etwas Neues zu schaffen, das das Naturschöne in ein Kunstschönes überführt. Im Grenzbereich zwischen naturalia und artificialia angesiedelt, muten ihre Werke daher letztlich wie Sammlungsstücke einer Kunst- und Wunderkammer an.
Alexandra Schantl